Häusliche Gewalt: Endlich nimmt die EU nimmt ihre Mitgliedsstaaten beim Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern in die Pflicht


14. Mai 2024

Häusliche Gewalt: Endlich nimmt die EU nimmt ihre Mitgliedsstaaten beim Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern in die Pflicht

Mit einer in der vergangenen Woche verabschiedeten Richtlinie setzt die EU endlich neue Maßstäbe in Bezug auf den Schutz von Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt. In der vergangenen Woche stimmte der Rat der Europäischen Union final einer Richtlinie zu, die aus Sicht der Deutschen Kinderhilfe den Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern deutlich verbessern wird. „Wir stimmen der EU- Kommission in vollem Umfang zu, dass die Richtlinie das erste umfassende Rechtsinstrument auf EU-Ebene zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und damit ein (dringend notwendiger) Meilenstein ist“, erklärt Rainer Becker, Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e. V.

„Deutschland hatte sich zu lange bei der Umsetzung der längst ratifizierten „Istanbul Konvention“, die für Politik, Verwaltung und Justiz verbindlich anzuwendendes Recht auch zum Schutz von Frauen und Kindern ist, „durchlaviert. Dem will Brüssel nun ein Ende setzen.“  

Nun im Einzelnen zu den wichtigsten Punkten:

  1. Unterstützung von Opfern durch Beratungsstellen und Krisenzentren

Die Richtlinie sieht hier vor, dass nationale Beratungsstellen zur Unterstützung von Opfern von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ganzjährig, rund um die Uhr und kostenfrei zur Verfügung stehen sollten. Handelt es sich bei einem Opfer um ein Kind, sollten die Behörden altersgerechte Unterstützung zum Wohl des Kindes vorsehen. Aus Sicht der Deutschen Kinderhilfe ist diese Unterstützung unerlässlich, da ein eklatanter Mangel an Beratungs-, Unterbringungsmöglichkeiten, auch aufgrund der Unterfinanzierung der mit Engagement agierenden Träger in diesen Bereichen besteht. Ein erheblicher Ausbau von Frauenhäusern, Gewaltberatungsstellen ist unverzüglich umzusetzen. „Noch immer gibt es viel zu wenige Frauenhausplätze für von Gewalt betroffene Frauen und ganz besonders für Frauen mit Kindern, die nach erlittener Gewalt nicht wissen, wo sie hinsollen“, so Becker.

Auch die flächendeckende Einrichtung von Childhoodhäusern bzw. gleichwertigen Einrichtungen (minimal ein Angebot pro Gerichtsbezirk) ist zur Umsetzung der neuen Richtlinie geboten, denn nur so lässt sich die geforderte altersgerechte Unterstützung gewährleisten. Konkret muss sich hier auch das Handeln der Behörden und der Justiz im Zusammenhang mit Gewalt (meist an Müttern) im Hinblick auf die Kinder verändern. Die aktuell immer wieder geübte Praxis ist leider, dass in derartigen Fällen eben nicht das Kindeswohl im Mittelpunkt steht. Häufig wird Gewalt gegen ein Elternteil in Gerichtsverfahren in Zusammenhang mit dem Sorgerecht nicht berücksichtigt. Das hat laut Richtlinie jetzt anders zu werden.

Die Deutsche Kinderhilfe stimmt den Ausführungen in der Richtlinie ausdrücklich zu, dass mit den neuen Regelungen die Rechte des Kindes (Artikel 24 der Charta der Grundrechte) gestärkt werden, zum Beispiel durch die Anerkennung von Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind, als direkte Opfer von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und durch spezifische Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung von Kindern sowie durch die Verpflichtung, Fälle unter Berücksichtigung des Wohles des Kindes zu behandeln. Das bedeutet, dass Kinder, die Zeugen von direkter Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt werden, damit auch als Gewaltopfer anerkannt werden müssen. Damit ist auch miterlebte häusliche Gewalt obligatorisch eine Kindeswohlgefährdung, was bei allen Entscheidungen auch Umgangs- und Sorgerecht betreffend, zu berücksichtigen ist. 

  1. Verpflichtung zur Erhebung von Daten zu häuslicher Gewalt

Ein entschiedenes Vorgehen gegen diese Gewalttaten sei unerlässlich, um die Werte und Grundrechte der Gleichstellung von Frauen und auch von Männern sowie der Nichtdiskriminierung zu gewährleisten, hieß es in der Mitteilung der EU-Kommission. Deshalb wurde nun auch hier nachgeschärft. Man kann nur wirksam gegen diese Gewalttaten vorgehen, wenn es valide Zahlen hierzu gibt. Und schon daran scheiterte es bislang. Seit Jahren rufen Bundespolitiker dazu auf häusliche Gewalt immer konsequent anzuzeigen, dabei gibt es noch einmal ausreichendes Zahlenmaterial.

„Es ist peinlich, dass es seitdem Deutschland im Jahr 2018 der Istanbul Konvention beitrat, keinerlei Erhebung darüber gibt, in wie vielen Fällen Täter bzw. auch Täterinnen verurteilt wurden und in wie vielen Fällen die Verfahren aus welchem Grund eingestellt wurden“, erklärt Rainer Becker. Und das, obwohl es eine Vielzahl an Hinweisen gibt, dass Strafverfahren gegen schlagende Elternteile oftmals mangels öffentlichen Interesses oder aus anderen Gründen eingestellt werden.

Die Richtlinie sieht nun eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, Daten über Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu erheben, die alle fünf Jahre in eine EU-weite Erhebung einfließen.

Die Deutsche Kinderhilfe sieht darüber hinaus noch einen weiteren Mangel: Es gibt bislang keinen besonderen Straftatbestand der häuslichen oder partnerschaftlichen Gewalt, in dem speziell berücksichtigt wird, dass Gewalt innerhalb einer Familie oder Beziehung für die Betroffenen sehr viel schwerer wiegt als in der Öffentlichkeit.

  1. Sichere Melde- und Risikobewertungsverfahren

Durch die neuen Regelungen der Richtlinie werden erhebliche Missstände beim Namen genannt, die nun endlich beseitigt werden sollen. Laut Richtlinie soll gegen die noch immer bestehende unzureichende Meldung von Gewalt gegen Frauen vorgegangen werden. So werden neue Möglichkeiten eingeführt, um Gewalttaten auf geschlechtersensible, sicherere, einfachere, leichter zugängliche – auch online – und kinderfreundliche Weise zu melden. Fachkräfte wie Beschäftigte im Gesundheitswesen oder in der Psychiatrie wären damit nicht mehr durch Vertraulichkeitsregelungen daran gehindert, begründete Verdachtsfälle zu melden, wenn eine unmittelbare Gefahr ernsthafter körperlicher Schäden besteht.

„Damit ist auch eine lange ausgeübte Fehlinterpretation des gemeinsamen Sorgerechts zu beenden, die bundesweit dazu führt, dass ein Elternteil, das den Verdacht hat, dass der andere das gemeinsame Kind misshandeln oder missbrauchen könnte, in Opferambulanzen abgewiesen wird, wenn er bei gemeinsamer Sorge keine Einwilligung des in aller Regel verdächtigen anderen Elternteils vorlegen kann“, meint der Ehrenvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe Rainer Becker.

Laut Richtlinie wären die Behörden außerdem verpflichtet, individuelle Risikobewertungen vorzunehmen, wenn ein Opfer sich an sie wendet, damit das vom Täter ausgehende Risiko bewertet wird. Ausgehend von entsprechenden Bewertungen müssten die Behörden für sofortigen Schutz durch Sperr- oder Schutzanordnungen sorgen. Auch dies ein wichtiger Schritt für den Opferschutz.

„Deutschland hatte rund 5 Jahre Zeit, der Istanbul Konvention und den Vorgaben der EU zu entsprechen. Es hat seine Zeit und seine Möglichkeiten nicht und nur ungenügend genutzt, Und nun macht die EU deswegen klare Ansagen. Wenn jemand mit dem ihm eingeräumten Ermessen nicht umgehen kann, muss es eben begrenzt werden,“ stellt Rainer Becker zufrieden fest.

Die Deutsche Kinderhilfe wird aufmerksam verfolgen, ob der deutsche Gesetzgeber nun endlich die Vorgaben in der vorgegebenen Frist von diesmal nur noch drei Jahren umsetzt.

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